Ideale – Der Traum vom Garten der Menschlichkeit

Oder: Die andere Darstellung des Wesens der Freimaurerei

(diese Geschichte wurde von Bruder Konrad A. unserer Loge anlässlich einer Tempelarbeit vorgetragen)

Br. Konrad A. i. d. e. O.

Es war vor einer langen Zeit, mitten in der rauhen, wirren und unwirtlichen Welt befand sich eine karge Landschaft, durch die nur ein Weg führte. Nicht weit von diesem Weg entfernt entdeckten Menschen eine ungewöhnliche Quelle, die sich ein gutes Stück weiter als kleines Bächlein durch die Landschaft schlängelte und dann wieder in der Erde versickerte. Das sanfte Plätschern des Wassers brachte eine seltsam zauberhafte Melodie hervor, die manche Menschen immer wieder anzog und sie still verweilen ließ. Tranken sie aber von dem Wasser, so hatte es eine sonderbar belebende Wirkung auf sie. Schon bald nannten sie es – das Wasser des Lebens – und seine Quelle – die Quelle des Lebens.

Die Stelle des Versickerns wurde – der Fluß ins Unbekannte genannt.

Einige Menschen kehrten regelmäßig an den kleinen Bach zurück, sahen sich häufiger, redeten miteinander, konnten sich aber nur schwer verständigen, da sie sehr unterschiedliche Sprachen hatten.
So war eigentlich das gemeinsame Interesse für das seltsame Bächlein der einzige Berührungspunkt den sie miteinander hatten.

Eines Tages brachte einer von ihnen ein Samenkorn mit, das sie in der Nähe des Baches in die Erde legten. Schon bald wuchs ein kleiner Sproß heran, der unter der sorgsamen Pflege zu einem prächtigen Baum gedieh. Nach einiger Zeit konnten sie schon unter seinem Blätterdach ausruhen. So kam ihnen die Idee, eine gemeinsame Sprache zu suchen. Das erste Wort, das sie festlegten, galt ihrem Baum.

Da niemand seine Art kannte, nannten sie ihn den Baum der Freundschaft. Sodann beschlossen sie an dem Bach einen Garten anzulegen. Jeder trug aus seinem Lebensbereich das jeweils Kostbarste und Seltenste an Pflanzen und Bäumen herbei dem sie dann eigene Namen gaben. Einer legte den Namen der Friedfertigkeit in den Boden, der unter ihrer Obhut und Sorgfalt zu einem starken Baum heranwuchs.

Ein anderer brachte das zierliche Pflänzchen der Liebe mit, das ganz besonderer Pflege bedurfte, später aber auch in selten schöner Blüte stand. So schaffte jeder etwas zur Gestaltung des Gartens herbei, der bald in strahlender Schönheit leuchtete.

Im hinteren Teil des Gartens wuchs der seltene Baum der Weisheit, dessen Früchte eine extrem harte Schale haben. Man erzählt sich, diese sei nur mit großer Ausdauer und Geduld zu öffnen.

Ihr Inhalt sei jedoch so köstlich, daß sich die Mühe lohne. Doch keiner der je davon genossen hat, spürt das Verlangen, über den Inhalt der Frucht vom Baum der Weisheit zu sprechen.

Einer brachte ein Bäumchen mit, das einer Eiche ähnelte und langsam zu einem großen, knorrigen Baum heranwuchs. Seine Wurzeln reichten bis in die Tiefe der Stelle, an der der kleine Lebensfluß versickerte. Er hatte eine mächtige Krone, seine Früchte gaben Mut und innere Kraft. Sie nannten ihn den Baum der Stärke.

Unter dem Baum aber, dessen Wuchs am ebenmäßigsten war, dessen Krone in vollendeter Harmonie erschien, versammelten sie sich am liebsten. Das Rauschen seiner Blätter klang wie das Ertönen edelster Musik, ja, wie ein zarter Gesang an den Schöpfer selbst. Baum der Schönheit wurde er genannt, er stand ganz nahe bei der herrlich erblühenden Pflanze der Liebe.

Umsichtig, wie sie waren, hatten sie sich auch rechtzeitig über den Plan zur Anlage des Gartens geeinigt und wohl dabei bedacht, wo viel Licht und wo viel Schatten sein würde.

So wurden auch die Wege durch den Garten und Ruheplätze mit Klugheit ausgewählt und angelegt.

Alles stand in einer rechten Ordnung und Ausgewogenheit zueinander.

Den Garten selbst nannten sie den – Garten der Menschlichkeit -, weil sie über der gemeinsamen Arbeit ihre unterschiedlichen Sprachen und die Zeichen ihrer sonstigen Unterschiede überwunden hatten. Sie waren sich in ganz anderer und viel tieferer Weise nähergekommen, obgleich doch jeder von Ihnen immer wieder in seine Welt, draußen, zurückkehrte und dort sein Tagwerk verrichtete.

Die Menschen, draußen, hörten von dem herrlichen Garten und viele kamen dorthin, manche um zu helfen, andere aber aus reiner Neugier. Bei einigen regten sich gar Neid und Mißgunst.

Noch andere kamen und wollten alles verbessern und ändern, fügten aber in ihrer Unkenntnis dem Garten nur Schaden zu. Um dem zu begegnen und diese Menschen abzuhalten beschloß man, eine Mauer um den Garten zu errichten, auch ihr gab man einen Namen, sie wurde die – Mauer der Standhaftigkeit und Verschwiegenheit- genannt. Eine kleine Pforte bildete den Zugang zum Garten, sie öffnete sich nur dem, der das geheime Wort kannte.

Fremden aber öffnete sich die Pforte nur noch, wenn man sicher war, dass er von der Schilderung des Gartens so angetan, eine solche Sehnsucht verspürte und bereit war, bescheiden, ruhig und sinnvoll unter Anleitung mitzuarbeiten. Diese Pforte, denn nur durch diese erlangte man fortan den Eintritt, nannten sie die Forte der Selbsterkenntnis.

Viel Zeit ist seither vergangen, die Menschen die den Garten schufen sind nicht mehr. Doch immer fanden sich Menschen die ihnen nachfolgten, die Arbeit übernahmen, die Schönheit und Einhelligkeit des Gartens zu erhalten.

Nicht immer wurde er mit der gleichen Sorgfalt gepflegt, manchmal drohte er gar zu verwildern, doch stets fanden sich wieder Menschen, die sich der Mühe unterzogen, den ursprünglichen Zustand wieder herzustellen, den Plan und den Sinn des Gartens zu ergründen und ihn danach gemeinsam in seiner unverfälschten Schönheit wiederherzustellen. So blieb der Garten der Menschlichkeit über die Zeiten erhalten. Wie von Anbeginn trugen die Gefährten Samen und Sprößlinge hinaus in die rauhe Welt und pflegten und hegten sie auch dort. Vieles aber wurde dann draußen aus Unkenntnis oder auch durch die Gleichgültigkeit von anderen Menschen zerstört.

Stets sind aber die Gefährten des Freundesbundes fortgefahren in dem Bemühen und sie werden es weiter tun, immer mehr Pflänzchen aus dem Garten der Menschlichkeit auch draußen zum Gedeihen und Erblühen zu bringen. Sie werden immer bemüht sein, mehr Menschen zu finden, die bereit sind sich der Mühe zu unterziehen, die Pflege und Erhaltung der Pflanzen aus dem Garten der Menschlichkeit, hinter der Pforte der Selbsterkenntnis, zu erlernen.

Denn eines wissen die Gefährten genau, – ein Garten der Menschlichkeit – kann überall in der Welt entstehen, wo immer sich genügend Menschen guten Willens zusammentun um einander zu unterrichten und sich gegenseitig, friedfertig, bescheiden und geduldig bei der Arbeit zu helfen.